Tunesien, Mahdia
Datum: Mai / Sept. 1993
Gebiet: Mahdia
Typ: Survey und Ausgrabung
Ziel: Römerzeitliches Schiffswrack
Projektleitung: Peter Winterstein, Ulrich Müller
Projektpartner: Tunesisches Institut für kulturelles Erbe (INP), Rheinisches Landesmuseum Bonn, MARE Oxford u.v.a
Veröffentlichungen:
- Hellenkemper Salies, G.; Prittzwitz und Gaffron, H.-H.; Bauchhenß, G. (Hrsg.). Das Wrack. Der antike Schiffsfund von Mahdia. Katalog des Rheinischen Landesmuseums Bonn, 2 Bd. Köln 1994.
- DEGUWA-Rundbrief Nr. 8, 4.Jahrgang 1994
In Poseidons Reich. Archäologie unter Wasser. Hrsg. DEGUWA. (Mainz, 1995). Siehe Publikation > - Hellenkemper-Salies, G. u.a. Neue Forschungen zum Schiffsfund von Mahdia. Sonderdruck aus Bonner Jahrbücher 196, 1996.
Der antike Schiffsfund von Mahdia
Verfasser: Peter Winterstein M.A.
Das Wrack eines römischen Lastenseglers mit griechischen Kunstschätzen beladen. Die Geschichte seiner Bergung, wissenschaftlichen Bearbeitung und deren Ergebnisse.
Mit einem Zufallsfund beginnt die Unterwasserarchäologie. Es waren Schwammtaucher von den Inseln des Dodekanes, die zu Beginn des 20.Jahrhunderts die bisher bedeutendsten Schiffsfunde des 1. Jahrhunderts vor Christi Geburt entdeckten. Mit Helmtaucheranzügen ausgerüstete Schwammtaucher aus Syme fanden auf ihrer Rückkehr von den reichen Fanggründen an der tunesischen Küste im Jahre 1900 vor der Ostküste der Insel Antikythera das Wrack eines mit Kunstschätzen beladenen Schiffes, deren anschließende Bergung durch die griechische Antikenverwaltung das National Museum in Athen seine einzigartigen Grosplastiken aus Bronze und Marmor verdankt.
Wenige Jahre später, 1907, stießen griechische Fischer auf der Suche nach den begehrten Schwämmen etwa 5 km vor der tunesischen Küste bei Kap Afrika am Ort Mahdia in einer Tiefe von 40 Metern auf eine untergegangenen, kostbare, antike Schiffsladung, deren wertvolle Bronzewerke einen weit höheren Verkaufswert als die mühsam gesammelten Schwämme versprachen. Bald war die Antikenverwaltung in Tunis auf den Fund der seltenen und kostbaren Stücke aufmerksam geworden. Unter der wissenschaftlichen Leitung des Direktors der tunesischen Antikenverwaltung, Alfred Merlin, begannen die griechischen Taucher mit der systematischen Bergung der Fundstelle und begründeten damit den Beginn der Unterwasserarchäologie. Bis zum Jahre 1913 wurden in mehreren Kampagnen aus dem Wrack eine Vielzahl von Aufsehen erregenden Kunstwerken verschiedener Gattungen und Teile der Schiffsausrüstung gehoben und zur Restaurierung und Aufbewahrung in das Museum Bardo nach Tunis verbracht und von Merlin publiziert. Die Veröffentlichungen der Funde führen in den nachfolgenden Jahren zu einer breiten wissenschaftlichen Diskussion. Das Wrack selbst verliert danach an offiziellem Interesse.
Erst 1949 interessiert sich eine Gruppe von französischen Marinetauchern unter der Führung von Philippe Tailliez und Jacques-Yves Cousteau mit ihren neuen autonomen Tauchgeräten im Rahmen eines „Trainingsprogrammes“ für das Wrack von Mahdia und seine Schätze ( wie später auch bei Antikythera ). In der Eile weniger Tage wurden eine Reihe von Gegenständen vom Meeresgrund heraufgeholt, über deren Verbleib wir heute wenig wissen.
Eine wissenschaftliche Untersuchung der Wrackstelle wird erst wieder 1954 und 1955 durch den Club de Recherches Sous-Marine de Tunesien unter der Leitung des französischen Ingenieurs Guy de Frondeville unternommen, wobei erstmals genaue Vermessungen für einen Lageplan erstellt werden, der Rückschlüsse auf das gesunkene Schiff selbst und die Verstauung der Ladung zulässt. Auf Grund der Ergebnisse dieser Untersuchungen geht de Frondeville davon aus, dass alle wertvollen Reste der Ladung bereits geborgen sind.
1987, mehr als 30 Jahre später, kommt es durch die in ihrem Bestand bedrohten Bronzekunstwerke im Museum Bardo zu einem tunesisch-deutschen Mahdia-Projekt zwischen dem Institut National du Patrimoine, Tunis und dem Rheinischen Landesmuseum, Bonn, mit dem Ziel der Restaurierung und neuerlichen wissenschaftlichen Bearbeitung des Fundkomplexes. Durch die großzügige finanzielle Unterstützung deutscher Stiftungen und internationaler Freunde und Förderer dieses Projektes ist es den Mitarbeitern des Rheinischen Landesmuseums Bonn bis September 1994 mit beachtenswertem Engagement unter der Federführung der inzwischen verstorbenen Gisela Hellenkemper-Salies gelungen, den größten Teil der im Museum Bardo befindlichen Funde aus dem Wrack von Mahdia nach modernstem wissenschaftlichen Kenntnisstand zu restaurieren. und zu konservieren und in einer groß angelegten Ausstellung in den darauf folgenden Monaten bis Februar 1995 der internationalen Fachwelt und einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. In einem zweibändigen Katalogwerk wurden die wissenschaftlichen Ergebnisse der siebenjährigen Forschungsarbeit mit annähernd 100 Beiträgen von Fachwissenschaftlern zur Diskussion gestellt. Zwei international besetzte Kolloquien in Bonn brachten auf dieser Grundlage weitere Erkenntnisse zur Kultur- und Kunstgeschichte des Schiffes und seiner Ladung, seiner Herkunft, Fahrt und seines Untergangs. So ist es nicht verwunderlich, dass die UNESCO das tunesisch-deutsche Mahdia - Projekt offiziell als Aktivität anerkannte, deren Ziel es war, „durch internationale kulturelle Zusammenarbeit verschiedene Kulturen einander näher zubringen, gegenseitiges Verständnis und Respekt zu erzeugen, wertvolle Kulturgüter zu erhalten und den Frieden zu fördern".
Auf Anregung des Rheinischen Landesmuseum Bonn haben die unterwasserarchäologische Abteilung des Institut National du Patrimoine und die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Unterwasserarchäologie seit 1993 damit begonnen, den gegenwärtigen Zustand der Wrackstelle kartografisch, filmisch und fotografisch zu dokumentieren und auszuwerten. Hierbei wurde unter anderem festgestellt, dass bezugnehmend auf den von de Frondeville erstellten Lageplan eine zwischenzeitliche Dislokation von Objekten stattgefunden hat und die verbliebene Substanz der Schiffshölzer sich zunehmend verschlechtert.
Für die Eigner von Schiff und Fracht war der materielle Verlust durch den Untergang des Lastenseglers wohl ruinös. In einer Hochrechnung des Wertes der Schiffsladung kam man auf eine Summe von über eine Million Sesterzen. Sie bestand aus einer Vielzahl von Architekturteilen, wie z.B. 60-70 Säulenschäften, riesigen Krateren und Kandelabern aus Marmor, häuslicher Luxusausstattung, Statuen und Statuetten aus Bronze und Marmor, Reliefs, Inschriften und vielem mehr. Die stilkritische Beurteilung, sowie die naturwissenschaftlichen und technischen Analysen der Funde haben nun ergeben, dass es sich bei der Schiffsladung nicht um Produkte einer Zeitepoche handelt, sondern dass Artefakte mehrerer Jahrhunderte gemeinsam verschifft wurden und der Untergang des Kunsttransporters in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts vor Christus zu datieren ist. Die kunsthistorische Einordnung der Artefakte durch gesicherte Vergleichsstücke hat ergeben, dass der größte Teil des Transportgutes aus Athen und Attika stammen muss und in einem Zeitrahmen von 350-50 vor Christus gefertigt wurde. Demnach bestand die Schiffsladung sowohl aus Neuware, wie auch aus „Antiquitäten“. Diese Tatsache veranlasste bereits die früheren Bearbeiter des Fundkomplexes den Abfahrtshafen des Lastenseglers mit Piräus zu bestimmen und den unmittelbaren Anlass der Verschiffung der Kunstobjekte mit der Einnahme und Plünderung Athens im Jahre 86 vor Christus durch Sulla als Beutegut in Verbindung zu bringen, eine Tatsache, die durch antike Schriftquellen belegt ist. Da die durch die Bonner Bearbeitung der im Schiff mitgeführten Gebrauchskeramik und neueste stilkritische Beurteilung einzelner Objekte deren Herstellung mindesten 20-30 Jahre nach der Sullanischen Katastrophe postulieren, muß der Anlass für die Verschiffung der kostbaren Ladung einen anderen Grund gehabt haben. Die Beantwortung dieser Frage ist derzeit nur mit Überlegungen zum Bestimmungshafen des Schiffes und dem Adressaten der Ladung zu beantworten. Die Heterogenität der Ladung aus Architekturteilen, häuslicher Luxusausstattung und Kunstwerken verschiedener Epochen, die bereits an öffentlichen Plätzen und Heiligtümern aufgestellt waren, sowie in Serie gefertigter neuer Prunkobjekte lassen als Empfänger der Schiffsladung nur auf ein Mitglied einer gehobenen Gesellschaftsschicht schließen. Eine solche gab es nur im Zentrum der damaligen Welt: in Rom und Kampanien.
Das Interesse der spätrepublikanischen Oberschicht des letzten Jahrhunderts vor Christus an griechischer Kunst ist durch schriftliche Quellen über Kunsthandel und Kunstraub vielfach belegt. In dieser Zeit hatte die römische Nobilität Gefallen am Lebensstil hellenistischer Herrscher gefunden und man war bemüht, sich in den luxuriösen Villen Kampaniens mit dem entsprechenden Ambiente zu umgeben. Auf einen Zielhafen an der Küste Kampaniens deuten auch die Überlegungen zur Erbauung des Frachters hin. Die Analysen der Holzproben, des Kalfatermaterials und Teile der Schiffsausrüstung lassen den Schluss zu, dass das Fahrzeug eben auch in dieser Region gebaut wurde und dort seinen Eigner hatte. Es ist also nach dem heutigen Kenntnisstand davon auszugehen, dass es sich bei dem Wrack von Mahdia um einen Kunsttransporter handelt, der im Auftrag oder für den freien Markt wertvolle Ladung von Athen in Richtung Rom transportierte und aus ungeklärten Gründen vor Kap Afrika sank. Dass das Schiff vor die tunesische Küste verschlagen wurde, erklärt sich aus seemännischen Überlegungen zu den meteorologischen Bedingungen und seefahrttechnischen Möglichkeiten der damaligen Zeit, wie sie ausführlich in Bonn erörtert wurden.
Vielleicht gibt die in Kürze zu erwartende Neueröffnung der Ausstellungssäle zum Mahdia-Wrack im Museum Bardo durch den tunesischen Staatspräsidenten Anlass, hierfür Finanzmittel zu beschaffen.
(Abbildungen: Rheinisches Landesmuseum Bonn und DEGUWA)