Polen, Danzig
Datum: 1996, Jul. 1999
Gebiet: Debki im Mündungsbereich der Pasnitz, ca. 100km entfernt von Danzig
Ziele: Britisches Handelsschiff GENERAL CARLETON OF WHITBY 1777, deutscher Bergungsschlepper ARNGAST
Typ: Ausgrabung
Projektleitung: Dr. Waldemar Ossowski
Projektpartner: Polnisches Maritimes Museum
Veröffentlichungen:
- Babits, L.; Ossowski, W. 1785 Common Sailor's Clothing and a Ship's Camboose from the General Carleton of Whitby, in: A. Askins Neidinger, M. A. Russell (Hrsg.) Underwater Archaeology. Society for Historical Archaeology, (Tucson, 1999) S.115-122.
- Bartelt, U.; Knepel, G. Untersuchung eines neuzeitlichen Wracks in der Ostsee, in: SKYLLIS 3.1. 2000 (Pretzfeld, 2001) S. 51-53. Zum Artikel >
- Ossowski, W. (Hrsg.). The General Carleton Shipwreck, 1785. Wrak Statku General Carleton, 1785. Polish Maritime Museum (Gdańsk, 2008).
Kurzbericht: Polen 1996
Verfasser: Andreas M. Stolpe und Lars Achenbach
Vor 2 Jahren wurde vor Dembki im Mündungsbereich des kleinen Flüsschens Piasnitz, ungefähr 100 km westlich von Danzig (Polen) durch Sporttaucher ein Wrack entdeckt.
In der Nomenklatur des Polnischen Maritimen Museums läuft dieses Wrack unter der Registrierungsnummer W32. Im Jahre 1995 wurden erste Ausgrabungen an dem Wrack durchgeführt. Die Backbordseite wurde damals vollständig freigelegt. Dabei war den Archäologen das Glück hold: In dem Wrack wurde die Schiffsglocke gefunden! Der Name des Schiffes ist GENERAL CARLETON OF WHITBY 1777. Dieser günstige Umstand ermöglichte nun den Archäologen weitere Forschungen zu den Umständen des Unterganges der GENERAL CARLETON durchzuführen.
Die ersten wichtigen Hinweise erhielten die Forscher durch Recherchen in den Schiffsregistern der Versicherungsagentur Lloyds. Der Stapellauf des Handelsschiffes fand in Jahr 1777 in Whitby statt. Es wog 500 Tonnen und wurde durch den Kapitän T. Pyman auf seiner ersten Fahrt nach Riga kommandiert. In den Archiven wurde die Heuerliste gefunden. Demzufolge hatte das Schiff eine Besatzung von 25 Mann. Der Kapitän des Schiffes war ab 1781 William Hustler. Neben dem Kapitän war noch ein Maat, ein Koch, ein Schiffszimmermann, 14 einfache Matrosen und 7 Servants an Bord.
Alle Besatzungsmitglieder fanden der Liste zufolge am 27. September 1785 bei dem Untergang den Tod durch Ertrinken. Die Heuerliste endet mit der Eintragung: "drowned; 15811 6/4 £", der Todesursache und die an die Hinterbliebenen zu zahlende ausstehende Heuer. Regionale Zeitungen bedeuteten für die Woche des Unterganges der GENERAL CARLETON starke Herbststürme. Aus diesen Informationen lässt sich das dramatische Ende des einst so stolzen Handelsschiffes plastisch erahnen.
Weiterhin konnte aus den Archiven ermittelt werden, dass zum Zeitpunkt des Untergangs der GENERAL CARLETON Mrs. Margaret Campion Besitzerin es Schiffes war. Ihr Ehemann Nathaniel entstammte einer bekannten Schiffseignerfamilie und war selbst Kapitän. Er verschied 52- jährig im Jahre 1783. Mrs. Margret Campion übernahm nach seinem Tod die Handelsflotte und baute die Flotte zu einer der mächtigsten britischen Handeslflotten der damaligen Zeit aus. Ihr Einfluss war so groß, dass sie mit ihrer Flotte den Russland-Handel über die Ostsee kontrollierte. Mrs. Campion gründete in jenen Jahren eine Bank und war damit wohl auch die erste Bänkerin Britanniens.
Whitby war im 18ten Jahrhundert eine blühende Stadt die vom Seehandel lebte. Die Stadt hatte den sechstgrößten Seehafen von Britannien und hegte enge Handelsverbindungen mit Russland. Die meiste Fracht ging ins Memelgebiet oder nach Petersburg. Hauptsächlich wurden Tonwaren, Porzellanpfeifen, Kork und Blei exportiert. Auf dem Rückweg hatten die Schiffe meistens Holz geladen.
Das Wrack der GENERAL CARLETON liegt ungefähr eine halbe Seemeile vom Ufer entfernt im Mündungsbereich des Flüsschens Piasnitz in ungefähr 6 bis 7 m Wassertiefe. Es ist nördlich ausgerichtet und zeigt mit dem Bug in Richtung Küste.
Von Schiff selbst ist nur noch der untere Teil des Rumpfes vorhanden. Von Vordersteeven bis zum Heck misst die Wrackmasse 29,5 m und hat eine Breite von 8 m. Zu Beginn der Ausgrabungen ragten nur die oberen Partien der Spanten aus dem Sand. Das Wrack bot somit der Strömung kaum Angriffsflächen.
Durch die Grabungstätigkeit änderte sich das. Das Wrack wandert bedingt durch Ab- und Antragung des umgebenden Sandes. Einzelfunde wurden deshalb außerhalb des Wrackes nicht gemacht und werden auch nicht zu erwarten sein. Der Rumpf ist vornehmlich aus Eichenholz gefertigt und weist eine leichte Neigung zur Steuerbordseite auf.
Sowohl Außen- als auch Innenbeplankung sind teilweise recht gut erhalten. Die ungefähr 30 bis 50 cm breiten Planken sind durch Holzdübel mit einem Durchmesser von 3 cm auf den Spanten befestigt. Bei einigen Holzdübeln ist noch die "Bleiversiegelung" als Schutz gegen Eindringen von Wasser zu erkennen. Von den Seiten des Rumpfes sind nur noch die mächtigen Spanten vorhanden.
Das besondere am Wrack W32 ist die Tatsache, dass es unter anderem auch Teer geladen hatte. Nach dem Untergang der GENERAL CARLETON sind die Teerfässer zerbrochen und der Inhalt hat sich in das Innere des Bootes ergossen. Zusammen mit dem Sand der Ostsee und unter der Einwirkung von über 200 Jahren im Seewasser ist der Teer zu einer Art Asphalt verbacken. Alle eingeschlossenen Artefakte wurden auf diese Weise gut konserviert und im Wrack fixiert. Kleines Fundmaterial wurde hauptsächlich in den Asphaltverkrustungen und zwischen den Planken und Holzkonstruktionen gefunden. Während der vorangegangenen Ausgrabungen auf der Backbordseite konnten Schifferpistolen, Kleidungsstücke aus Wolle und Leder, ein Thermometer, Töpferware, Glasviolen und Münzen geborgen werden. Am spektakulärsten aber waren hunderte von Schuhschnallen aus Zinn.
In der Kampagne 1996, während der Zusammenarbeit des Maritimen Museums mit der DEGUWA, wurde die Steuerbordseite der GENERAL CARLETON in Angriff genommen. Aufgrund der geringen Tiefe des Fundkomplexes wurden zu den Unterwasserarbeiten neben herkömmlichen Pressluft-Tauchgeräten auch Sauerstoff-Kreislaufgeräte eingesetzt. So waren effizientere Taucheinsätze von bis zu 3 Stunden möglich. Um an die Schicht mit den eingebackenen Fundstücken zu gelangen musste eine ungefähr 2 m starke Sandschicht vom Wrack mit dem Airlift abgetragen werden.
Es stellte sich heraus, dass das Schiff noch eine Lage Eisenbarren geladen hatte. Die Eisenbarren waren sehr stark korrodiert und zu einem undurchdringlichen Gewirr verbacken. In der nächsten Etappe wurden diese Eisenbarren und Eisenplatten entfernt. Dies konnte teilweise nur dadurch erreicht werden, indem mit der Zugkraft der Ankerwinde des Forschungsschiffes die Barren voneinander gelöst wurden. Die Kleinfunde wurden mit einem Presslufthammer von den hölzernen Planken gemeißelt und nach oben an Bord der KASZUBSKI BRZEG befördert. Neben Teilen der Takelage wurden einige Porzellanpfeifen, Pistolenkugeln, Fragmente von Messingkrügen und ein Messingfernrohr freigelegt. Die Ausgrabung am Fundkomplex verbackener Teer W32 wird sicherlich noch 1996 abgeschlossen. Das umfangreiche Fundmaterial wird dann nach der Restauration und der wissenschaftlichen Aufarbeitung im Maritimen Museum Danzig zu bewundern sein. Das Wrack selber wird an Ort und Stelle belassen. Eine weitergehende Konservierung der GENERAL CARLETON ist nicht vorgesehen.
Aufgrund der starken Strömungsverhältnisse ist damit zu rechnen, dass der Fundort binnen kurzer Zeit wieder mit Sand bedeckt sein wird. Zerstörung durch Sporttaucher ist dann sowieso auszuschließen. Fischerei wird in diesen Gewässern nur sporadisch von kleinen Fischerbooten aus betrieben. Die durch die progressive Versalzung der Ostsee verursachte Ausbreitung der Schiffsbohrmuschel (Teredo navalis) ist in diesen Gewässern noch nicht zu beobachten. Es herrschen momentan noch Bedingungen vor, die eine Konservierung des Wracks durch Belassen in der ursprünglichen Fundlage als die beste Konservierungsmethode erscheinen lassen.